Kapitel Vierundzwanzig


Khiray sah Saljin fallen, die Hände um den Stab geschlossen, als könne sie ihn noch herausziehen - aber die Kraft der Fuchstaurin reichte nicht. Ihre Hinterbeine knickten ein, dann ihre Vorderbeine. Beladanar lachte.

Der Stab hatte Saljin unterhalb des Rippenbogens getroffen, auf der linken Seite. Die Gewalt des Dämons hatte ausgereicht, um ihren Körper völlig zu durchbohren - das blutverschmierte Ende ragte aus ihrem Rücken.

Khiray stöhnte, aber viel mehr konnte er nicht tun. Die Erinnerung an den Schmerz war zu groß. Glühende Finger auf seinem Fell, schleimige Zungen, die sich langsam in seine Schnauze schoben. Dämonen tanzten um ihn herum, in der einen wie der anderen Ebene.

Aber...

Beladanar breitete die Arme aus und wandte sich dem Tempel zu. "Nun komm, mein Feind! Komm, meine Nemesis! Ich erwarte dich!" Das Singen und Summen war lauter geworden, das Licht greller, aber ansonsten geschah nichts. Es war zu spät. Die Schlacht war praktisch vorbei.

...es war nur...

Khiray konnte nicht sehen, wie es Delley, Fryyk oder Kinnih ging, aber Perlish und Sarmeen hatten einen schweren Stand gegen die Dämonen. Es schien fast, als spielten die Höllenwesen nur mit ihren Opfern, brachten ihnen immer neue Wunden bei und nahmen für dieses Spiel sogar ihre Auslöschung in Kauf.

...eine...

Beladanar betrachtete gedankenverloren die gestürzte Fuchstaurin. Dann packte er eines ihrer Vorderbeine. Der Erzengel kam nicht. Der Dämon hatte Zeit genug, seine Drohung wahr zu machen. Das Spiel, das dämonische Spiel...

...Erinnerung!

Nein! Khiray wehrte sich gegen den Ansturm vergangener Bilder. Er würde es nicht zulassen! Beladanar durfte Saljin nicht verstümmeln. Selbst wenn sie alle bereits tot waren...

Aber das waren sie nicht. Nicht einmal Saljin. Khiray erinnerte sich, was sie ihm gesagt hatte - der Oberkörper enthielt kaum lebenswichtige Organe. Er erkannte, daß Beladanar genau darüber Bescheid wußte. Der Dämon hatte Saljin nicht tödlich getroffen, selbst wenn die Wunde verheerend aussah - das Schicksal, das er für die Fuchstaurin vorgesehen hatte, war weitaus schlimmer als der Tod.

Das Spiel...

...war noch nicht vorbei.

Khiray stemmte sich gegen die kreischenden Schmerzen in seinen Muskeln. Es war nur eine Erinnerung. Eine Erinnerung, nicht mehr! Es war nicht Wirklichkeit. All das war einmal geschehen, aber es war vorbei. Bilder nur!

Aber Bilder von schreckenerregender Realität. Khezzarrik schien genau vor ihm zu stehen. Der Dämon lachte, lachte wie...

Beladanar.

Khirays Hand kroch vorwärts, ertastete den Griff des Dekka'shin. Seine Finger fühlten sich taub an, eiskalt, als hätten sie das Greifen verlernt. Der Boden schwankte... nein, er hatte geschwankt, als Khezzarrik... Götter! Der Schmerz! Sein Rückgrat schien unter widerstreitenden Gewalten zu bersten, auseinandergezerrt und verdreht von stählernen...

Erinnerung.

Der Fuchs zwang sich, das wilde Heulen seines geschundenen Körpers zu überhören. Keine Wirklichkeit. Von allen Verteidigern des Tempels war er in Wahrheit am wenigsten verletzt. Die Dämonen hatten für ihn keinen Blick übrig. Beladanar wollte ihn nicht töten. Ihn nicht, und Saljin auch nicht. Das hätte ihr Leiden beendet, sie befreit. Nein, das war nicht der Sinn des Spiels. Die Qualen, die köstlichen Qualen sollten lange anhalten. Verzweiflung und Demütigung.

Er schob seine Pfoten unter den Körper, spannte die Muskeln an. Aufstehen. Er benutzte das Dekka'shin als Stütze. Die untere Klinge grub sich in den Stein der bunten Fliesen.

Sengendes Feuer unter seinem Schwanz, feuriger Schmerz zwischen seinen Beinen, und Khezzarriks schmeichelnde Worte hinter ihm. Nein, daran wollte er sich nicht erinnern. Seine Beine gaben nach. Nicht erinnern. Es war nicht geschehen. Nichts war je geschehen. Die Dunkelheit winkte, lockte ihn. So einfach, so schnell. Wozu noch kämpfen?

Saljin. Beladanar hielt ihre Pfote, als überlegte er seinen nächsten Zug, aber in Wahrheit wollte er wohl nur den Augenblick auskosten, solange die Fuchstaurin noch bei Bewußtsein war. Ihr Schwanz zuckte, aber sie hatte nicht die Kraft, sich dem Dämon zu widersetzen.

Dunkelheit.

In der schweigenden Stille zeichneten sich Gestalten ab. Ein Troll, eine Füchsin, eine Fuchstaurin, ein Fuchstaur. Sie hatten die Hände ausgestreckt, wiesen auf das lodernde Feuer hinter ihm.

"Nein!" sagte er entschieden.

"Du mußt ihr helfen", erklärte Dek.

"Ich kann nicht", murmelte Khiray. "Es ist zu schwer. Das Feuer... ich kann die Erinnerung nicht unterdrücken."

"Du darfst sie nicht unterdrücken", behauptete Ayashlee. "Sie ist ein Teil von dir. Beladanars Zauber kann dir nur etwas anhaben, weil du dich dem Geschehenen verweigerst. Er beherrscht dich - Khezzarrik beherrscht dich -, weil du gegen dich selbst kämpfst."

"Ich will nicht ins Feuer!" jammerte Khiray. "Wir können ihn nicht besiegen! Es ist alles vergebens!" Er stürmte an den vier Gestalten vorbei, auf die Finsternis zu.

"Er ist ein Feigling", sagte Dek hinter ihm. "Ich wußte es von Anfang an."

"Er kennt keine Pflicht. Er kennt nur sein armseliges kleines Selbst", stimmte Saljin ihm zu. "Er ist eben doch ein Stadt-Felliger. Kein Krieger. Wie schade, ich habe einen guten Namen an ihn vergeudet."

Khiray wirbelte herum. "Das ist nicht wahr! Ich habe gekämpft! Und ich habe verloren! Was soll ich noch tun?" Er ließ sich zu Boden fallen, die Arme um die Beine geschlungen.

Die Fuchstauren marschierten davon, in Richtung des Feuers. "Verloren? Ein Kampf ist erst vorbei, wenn der letzte Tropfen deines Blutes im Sand verrinnt. Ein Kampf ist erst vorbei, wenn dein letzter Atem im Wind verweht. Ein Kampf ist erst vorbei, wenn dein Arm den letzten Schlag geführt hat. Du hast nicht verloren. Du hast aufgegeben. Dich selbst aufgegeben. Uns aufgegeben." Sie verschwanden in den Flammen.

"Magie ist im Geist", knarrte der Troll. "Der Wille verbindet die Kräfte. Aber nur der ganze Geist kann die Macht beherrschen." Seine Gestalt verwandelte sich in einen großen Felsen.

"Ich kann nicht ins Feuer gehen", sagte Khiray leise. "Es ist zu schwer. Es verbrennt mich."

"Du mußt es beherrschen", erklärte Ayashlee sanft. Sie strich über seinen Kopf. "Wenn du ins Feuer gehst, kannst du es nicht meistern."

"Was dann? Was soll ich tun?" Er verspürte den Drang, hinter den Fuchstauren herzulaufen, und gleichzeitig das Bedürfnis nach dem Frieden, den nur das unendliche Nichts ihm geben konnte.

Aber die Gestalt seiner Mutter war verschwunden. Seine Traumbegleiter hatten ihn verlassen.

Er starrte auf die Flammen. Es beherrschen? Die lodernde Feuersbrunst kam einem Waldbrand gleich. Er war nur ein kleiner Fuchs. Niemand konnte dieses Feuer beherrschen.

Aber es war nur Erinnerung.

Die Flammen waren nirgendwo außer in seinem Geist. Wenn er die Augen schloß, waren sie so wirklich, als hielte er sie offen. Sie meistern? Nicht hineingehen?

Langsam stand er auf. Die Zeit im Draußen lief anders ab als hier. Dort stürzte er, verlor seinen Halt... aber hier im kalten Inneren würde noch lange Zeit vergehen, ehe der Körper Draußen auf den Fliesen aufschlug.

Er stand vor den Flammen. "Nur Erinnerung", murmelte er. "Erinnerung ist nirgendwo, außer in mir." Khiray breitete die Arme aus, umarmte das Feuer.

Und dann waren die Flammen in ihm, und er schrie.

Der Schmerz war um so vieles schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Alles, alles war noch da, was er erlebt hatte. Khezzarrik. Die Hölle. Einmal war er vom Rand des Nichts zurückgekehrt und hatte die Flammen durchquert, mit der Hilfe seiner Traumbegleiter. Aber er hatte sie nicht gemeistert, sie waren nur hinter ihm zurückgeblieben; sie hatten in seinem Inneren weitergelodert und dienten Beladanars Magie als Nahrung.

Sie meistern.

Er umschloß das Feuer, verschlang es, löschte es aus. Jede Flamme war ein Symbol reinster Qual. Die verzehrende Agonie des Körpers. Die nagende Pein der Erniedrigung. Das erstickende Gefühl der Scham. Das Gelächter von Dämonen. Die Stimmen. Die Hände. Die stachelbewehrten Tentakel.

Khezzarrik sprach mit Saljins Stimme. Saljins Augen sahen ihn an. Doch dahinter verbarg sich ein alter, fremder, unendlich verderbter Geist. Khiray schüttelte ihn ab. Erinnerung. Es war nur Erinnerung.

Bunte Kacheln, goldene Adern. Er verstand gerade noch rechtzeitig, daß er in die wahre Welt zurückgekehrt war, um seinen Sturz abzufangen.

Das Feuer war noch vorhanden, aber schwächer jetzt. Er konnte eine Pfote vor die andere setzen. Er konnte sich bewegen. Der Schmerz war allgegenwärtig, als hätte jemand durch seinen Körper ein Dekka'shin gebohrt statt durch Saljins. Wenn er die Zehen auf den Boden setzte, schien es, als träte er auf Glasscherben. Wenn er das Bein hob, stachen tausend Nadeln in seine Muskeln. Aber er machte einen Schritt, dann noch einen.

"Beladanar!" Seine Stimme hörte sich an, als hätte er drei Nächte mit Delley in einer Bar gehockt und drei Tage als Marktschreier alte Rüben angepriesen. Sein Rachen war trocken und wund, seine Zunge schwer.

Der Dämon wandte sich zu ihm um und ließ Saljins Pfote los. Für einen kurzen Moment glaubte Khiray, sich selbst durch Beladanars Augen sehen zu können. Kaum mehr ein Felliger, mit gesträubtem, wilden Fell und roten Augen, an das Dekka'shin geklammert, als sei es ein Rettungsanker. Das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, unkenntlich, die Zähne gebleckt. Ein Fuchs aus der Hölle.

Nein, nicht einmal aus der Hölle. In der Hölle. Ein Fuchs in der Hölle, der durch ein Meer des Blutes und der Schmerzen watete, immer einen Schritt zur Zeit, beharrlich. Erinnerung. Er kämpfte.

Noch floß Blut in seinen Adern. Er hatte einen Namen. Er hatte sich diesen Namen verdient, und er würde ihn sich immer wieder verdienen.

"Du bist sehr stur, Füchschen", seufzte Beladanar. "Niemand ist bisher gegen den Zauber angekommen. Bist du nicht müde, Füchschen? Möchtest du nicht ausruhen, diese schwere, schwere Last ablegen?"

Khiray gab keine Antwort. Er machte einen weiteren Schritt.

"Gib auf, kleiner Fuchs. Deine Bemühungen sind vergebens. Deine Waffe kann mir nichts anhaben. Du amüsierst mich nur."

Noch ein Schritt. Es gab keinen Erzengel. Es gab keinen Tempel. Es gab keine Geister und keine Kräfte. Die einzige Wirklichkeit war die Fliese vor ihm, die es zu überwinden galt, und das Ziel.

Beladanar.

Die Welt war sehr klein geworden. Sie umfaßte nur noch ihn, Beladanar, die Schmerzen, und die Strecke, die es zu überwinden galt. Aber die Flut der Qualen ließ nach. Khezzarriks Stimme war kaum noch hörbar. Der Widerstand verebbte. Beladanars Zauber zerbrach, hinterließ nichts als den Geschmack von Asche in Khirays Mund, und ein erloschenes Feuer.

Es war vorbei. Der Ort der Dunkelheit zog sich in sich zusammen. Ohne ein Feuer, das ihn nährte, schwand er dahin. Die Welt kehrte zurück. Khirays Augen klärten sich.

Kein Schmerz mehr.

Er erinnerte sich, aber die Erinnerung war nicht mehr qualvoll. Es waren Dinge, die ihm passiert waren. Sie waren vorbei. Er war der Hölle entkommen.

Beladanar schien zu verstehen. Die Dunkelheit um ihn herum verdichtete sich, als bereite er einen neuen, vernichtenden Zauber vor. "Ich verliere die Geduld mit euch Kakerlaken", grunzte der Dämon. "Gut, wenn ihr euch nicht fügen wollt, dann sterbt!"

Khiray sprang. Die Kraft war in seine Beine zurückgekehrt. Und mehr noch: die Magie des Dekka'shin pulsierte in seiner Hand.

Magie ist im Geist, hatte der Troll gesagt. Der Wille verbindet die Kräfte.

Er konnte das Muster sehen, die Magie fühlen. Ghanzekks Zauber breitete sich vor ihm aus, und er verstand. Er wob die Schattenlinien zusammen, gab der Kraft eine neue Form. Acht Stäbe, die ihre Energie noch lange nicht verbraucht hatten, und sein eigenes Dekka'shin, versponnen im neuen Muster.

Die Waffe sauste herab, schnitt durch die Schatten, durch den Men'schin-Körper, durch die tentakelbewehrte Masse dahinter. Die gleichzeitige Entladung von neun großen Stäben fraß sich in einem grünen Blitz in das dämonische Fleisch.

Beladanar brüllte auf. Die Figur von Alfon Sanass zerstob, in zwei Hälften geteilt, ließ nichts als die Schatten zurück. Der Herr der Würmer bäumte sich auf, fuhr kreischend halb aus den Schatten heraus - ein Ding mit zu vielen Mündern und zu vielen Zähnen -, und stürzte in sich zusammen. Er wand sich auf den Kacheln, plötzlich viel kleiner als Khiray selbst, und sonderte weißen Schaum ab.

Angewidert trat Khiray einen Schritt zurück. Er glaubte nicht daran, daß Beladanar starb. Aber er hatte ihn verletzt - schwer verletzt. Er hatte ihm die Bedeutung von Schmerz gezeigt.

Was immer geschehen mochte, diesen Sieg konnte Beladanar ihm nicht mehr nehmen.

Die Dunkelheit verdichtete sich wieder. Wurmartige Arme krochen heraus, schlangen sich um die Schatten oder klatschten peitschend auf die bunten Fliesen. Langsam wuchs Beladanar wieder zu seiner vorigen Größe.

"Narr", knurrte er. Der Herr der Würmer hatte viele Stimmen, und jede Stimme hatte ein Echo, untermalt vom Knacken und Knirschen zahlloser Kiefer.

Khiray ging an ihm vorbei, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, und kniete sich an Saljins Seite. Die Fuchstaurin hatte das Bewußtsein verloren. Zu viel Blut bildete eine Lache auf dem Boden. Der Fuchs wünschte sich, er hätte Verbandsmaterial dabei - aber alles, was sie besaßen, befand sich auf der 'Ansicc'. Warum nur hatten sie es vergessen? Hatten sie geglaubt, sowieso nicht mehr zurückzukehren?

Er sah zu Beladanar hinüber. Der Herr der Würmer schien turmhoch aufzuragen, vier Meter oder mehr, reinster Schatten, der ein unsägliches, ekelhaftes Etwas bekleidete und verhüllte.

Der Dämon richtete zahllose halbblinde Augen auf den Fuchs und die Fuchstaurin. Aber er kam nicht mehr dazu, etwas zu sagen, denn in diesem Moment explodierte der Himmel, und der Erzengel kam.

* * *

Ein einzelner Blitz fuhr aus dem Inneren des Tempels zum Himmel, verästelte sich, durchstieß die Wolken: goldenes Licht, das die Nacht erhellte und für Sekunden bestehen blieb, ehe es erlosch. Die Finsternis schien um so dunkler zu sein, zumal auch die leuchtenden Adern um den Tempel herum verloschen waren. Nicht einmal der Schein aus dem Inneren bestand mehr; es war, als hätte sich alles Licht, alle verborgene Kraft der Ruinen von Alvanere, in einem einzigen Moment entladen. Selbst das Singen war verstummt: die Geister waren fort, vergangen.

Doch dann bildete sich ein Netz aus Licht hoch über dem Tempel, eine Kugel wie aus losen Fäden, ein Flimmern im Gefüge der Nacht. Khiray fühlte sich an Khezzarriks Tore erinnert. Und etwas Ähnliches schien es auch zu sein, nur daß dieses Tor nicht zur Hölle führte oder an einen anderen Ort dieser Welt, sondern in die geheimnisvollen Gefilde, wo Erzengel und vielleicht auch Götter lebten.

Und aus dem Tor schwebte eine Gestalt aus Feuer und Gold. Sie hatte den Körper eines Men'schin, doch Vogelkrallen anstelle der Füße, und den Kopf eines großen Raubvogels. Sie war nackt, doch ohne Geschlecht, und vollkommen haarlos. Riesige Schwingen breiteten sich hinter ihrem Rücken aus, die langsam schlugen; Federn bedeckten den Kopf und die Flügel. Der Schwanz des Wesens glich dem eines Reptils, doch war er ohne Schuppen: mit breiter Basis, spitz zulaufend, und einer Klinge oder einem Stachel am Ende.

Der hakenförmige Schnabel öffnete sich, und das Wesen ließ einen Schrei hören. Die Dämonen zuckten zusammen und duckten sich am Boden. Allein Beladanar starrte den Erzengel herausfordernd an.

Die goldene Gestalt war makellos. Sie hatte keine Narben, keine Unvollkommenheiten; perfekte Symmetrie unterstrich die tadellosen Proportionen. Seine Statur und seine Muskeln ließen den Erzengel männlich erscheinen; die schimmernde Haut leuchtete von innen, und eine Aura weißer Kraft umgab das Wesen.

Khiray schätzte die Größe des Erzengels auf mindestens drei Meter, kleiner als Beladanar, doch nicht weniger mächtig. Die schiere Energie des außerweltlichen Wesens brannte in seinen Augen.

Der Erzengel landete und sah sich um. Die Dämonen in seiner Nähe wimmerten und krochen davon.

"Mein Name ist Taphaliel", dröhnte die Stimme des Erzengels, tief wie eine große Glocke, weithin hallend. "Wer hat mich an diese Stätte gerufen?"

Vermochte er die Dämonen nicht zu sehen? Erkannte er nicht, was vor sich ging?

"Dämonen haben diese Welt betreten", rief Khiray. "Ein Fürst der Hölle sucht uns zu vernichten!"

Taphaliel ließ seinen Blick schweifen. Seine Augen waren weiß und leer. "Das sehe ich", verkündete er. "Das war nicht meine Frage."

"Wir", bekannte Khiray, "wir haben Euch gerufen."

Der Erzengel nickte und schritt auf Khiray zu. Er nahm keine Notiz von Beladanar. Vor dem Fuchs ging Taphaliel in die Hocke, bis seine seltsamen Augen auf einer Höhe mit Khirays waren.

Der Fuchs fühlte Taphaliels Präsenz, seine Macht, seine Stärke. D er Wille des Erzengels durchdrang ihn, erforschte seinen Geist. Er brauchte nichts zu erklären, nichts zu berichten. Das Wesen nahm sich, was es wissen wollte, sog Khirays Erinnerung in sich auf, alles Wissen, alles Fühlen. Vor Taphaliel kam sich Khiray so nackt vor wie nie zuvor, nackter als selbst vor Khezzarrik. Er wich zurück; unwillkürlich errichtete sein Wille eine Mauer zwischen ihm und dem Erzengel.

Taphaliel runzelte die Stirn, dann lächelte er - nicht wie über einen Scherz, sondern so, wie ein Vater lächeln mochte, wenn sein Sohn ein neues Talent oder eine neue Fertigkeit zeigt. Es war seltsam anzusehen, wie der Vogelschnabel sich bewegte - anders als es je ein echter Vogel vermocht hätte.

Der Erzengel erhob sich. Noch im Aufstehen berührte er Saljin, und der Stab, der sie durchbohrte, zerfiel... nicht zu Staub, sondern zu nichts, als sei er niemals vorhanden gewesen. Die Wunde zog sich zusammen, doch sie heilte nicht völlig; vielleicht schenkte der Erzengel ihr nicht genug Aufmerksamkeit, vielleicht waren seiner Macht auch Grenzen gesetzt.

Beladanar knurrte bösartig. "Du bist also gekommen!"

"Ich wurde gerufen", stellte Taphaliel unbeeindruckt fest. "Ihr habt mehr Geschick entwickelt, unseren Augen zu entgehen, als ihr dürftet. Es ist euch untersagt, euren Schrecken über diese Welt zu verbreiten." Die furchtbaren Raubvogelklauen des Erzengels zogen sich zusammen, rissen knirschend Furchen in die Fliesen des Platzes.

"Kein Gesetz, von Göttern erlassen, wird uns daran hindern, zu tun, was immer uns beliebt!" grollte Beladanar. "Wir sind älter als die Götter, älter als die Erzengel."

"Alter ohne Weisheit", meinte Taphaliel, "Alter ohne Würde, Alter ohne Achtung oder Liebe. Macht allein begründet euer Recht. Und dort, wo Mächtigere als ihr wandeln, habt ihr euer Recht verloren!" Er schlug mit den Schwingen. Licht wallte auf wie Staub, gleißende Pünktchen, die gleich Funken in der Dunkelheit tanzten.

Licht und Schatten, Erzengel und Dämon. Die beiden Wesen starrten sich an, als könnten sie so schon entscheiden, wer der Stärkere sei; sie maßen sich und verbrannten sich mit glühenden Blicken.

Dann breitete Beladanar Flügel aus Mitternachtsschwärze aus und hob sich in den Himmel. Taphaliel folgte ihm in einer Spirale aus Feuer.

Der Kampf erleuchtete die Wolken und die Erde. Das Helle verschlang das Dunkle, die Schatten verzehrten das Licht. Das Firmament war gespalten in eine Hälfte, weißer als jeder Tag, und eine andere, schwärzer als jede Nacht. Das Schlagen der Schwingen war ein Sturm auf dem Boden, das Aufflammen chaotischer Kräfte am Himmel tauchte die Ruinen in unwirkliches Feuer.

Die Schlacht war jenseits von Khirays Begreifen. Er hatte nur einmal kurz die Magie gespürt, und dieses Gespür war wieder verschwunden; Teil einer Welt, die nicht die seine war. Hier kämpften Gewalten, die kein sterbliches Wesen beherrschen konnte. Es war, als schlüge eine Flutwelle eine Schlacht gegen einen Waldbrand, als kämpfe ein Erdbeben mit den Bergen, als bäume sich das Meer gegen das Land auf.

Es kümmerte ihn nicht. Sein Kampf war vorüber. Er hatte die Hölle bereits besiegt.

Die Dämonen regten sich nicht. Perlish hieb mit seinen Stäben auf sie ein und löschte sie mit Ghanzekks Zauber aus, hämisch lachend. Einige der größeren Höllenwesen versuchten sich zu wehren, doch sie waren zu schwach und unentschlossen. Nun, da der Erzengel endlich gekommen war, schienen sie alle Kraft und Wildheit verloren zu haben.

Khiray untersuchte Saljins Verletzungen. Dutzende von Dämonenklauen hatten sich in ihre Haut gebohrt, aber die Kratzer und Risse waren nicht allzu tief. Der Einstich des Stabes sah noch immer am schlimmsten aus; er hatte aufgehört zu bluten, aber inwieweit die Heilkräfte des Erzengels die innere Verletzung geschlossen hatten, konnte der Fuchs nur raten.

Die Fuchstaurin regte sich, zuckte, öffnete die Augen. "Was...?"

"Bleib liegen!" befahl Khiray. "Der Erzengel ist gekommen."

Saljin starrte in den Himmel. Khirays Augen folgten ihrem Blick.

Das Firmament war von einer Kakophonie aus weißen und schwarzen Kräften durchzogen. Der Erzengel selbst war ebensowenig zu sehen wie Beladanar, beide waren in ihrer Macht aufgegangen, hatten sich aufgelöst in Flammenfronten unfaßbaren Zaubers. Streifen aus Licht wanden sich um Bänder der Dunkelheit, geführt von unsichtbaren Händen.

Ein Sturm fegte über die Erde, beugte die Wipfel der Bäume; er trug den Geruch von Blitzen in sich.

Die Augen der Verteidiger wurden geblendet vom Wechsel von Hell und Dunkel, von den farbigen Lichtern, den leuchtenden Ringen, die sich bis zum Horizont ausbreiteten, ausgehend von einem Zentrum der Gewalten wie Wellen, die ein ins Wasser geworfener Stein verursacht. Die Stimmen von tausend Dämonen und tausend Erzengeln schienen auf dem Sturm zu reiten. Der Boden bebte; die steinernen Fliesen vibrierten, als wandere ein Gigant über die Welt, dessen Tritte die Berge erschütterten.

Dann löste sich die Finsternis auf, zerstob, wurde im Licht zerrieben, und aus dem Zentrum des Himmels stürzte ein schwarzer Klumpen heulend zur Erde. Beladanar schlug auf dem Platz auf und zerfloß - zuckend und mit sich windenden Tentakeln, zäh wie ein Teerklumpen über dem Feuer.

Taphaliel landete neben der langsam schmelzenden Masse und sah mitleidslos dem Dämon beim Sterben zu. Schließlich erstarben die letzten Bewegungen in den schleimigen Resten, und die Schwärze verging, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen.

Der Erzengel streckte eine Hand aus, und das Feuer verschlang die übrigen Dämonen - so schnell, als seien es gefaltete Papierfiguren, die zu nahe am Kamin stünden.

"Es ist vorbei", sagte Taphaliel. "Es sind keine Dämonen mehr hier in dieser Welt."

"Es ist nicht vorbei", widersprach Khiray. "Die Dämonen kennen einen Weg, hierher zurückzukehren, ohne gerufen zu werden, ohne einen Pakt eingehen zu müssen."

"Ich weiß", sagte der Erzengel. Natürlich. Er wußte nun alles, was Khiray auch wußte - alles. Der Fuchs senkte den Kopf. Es gefiel ihm nicht, daß dieses übermächtige Wesen durch ihn hindurchsehen konnte. Er hatte seine Geheimnisse, die er nicht offenbaren wollte, die er niemandem je erzählen würde - aber der Erzengel hatte sie ihm bereits entrissen.

Taphaliel mochte ein Feind der Dämonen sein. Aber war er ein Freund der Felligen? Seine Macht allein machte ihn schrecklich - schrecklich wie Flut oder Dürre, schrecklich wie Erdrutsch oder Blitzschlag.

Ein Erzengel. Khiray verstand, weshalb Eltern ihren Kindern von Füchschen mit Flügeln erzählten. Die Macht dieser Wesen überstieg die Grenze des Faßbaren. Man konnte nur einen kleinen Teil ihrer Kraft wirklich spüren, wie ein Kribbeln unter dem Fell, wie ein Dröhnen, das man nur im Magen zu fühlen vermochte. Alles jenseits davon - alles, was den Erzengel über die Sterblichen erhob - blieb unsichtbar, eine Macht ohne Namen, ein Wirbel gigantischer Energien, für die es keine Worte gab, außer vielleicht in den Büchern von Zauberern.

Taphaliel hob Khirays Dekka'shin auf. Unter seinem Blick wandelte sich die Waffe, die nun auch ihre Energie verloren hatte; die Runen schmolzen, der Griff wurde glatt, das Holz des Stabes wurde vollkommen eins mit dem Metall der Klingen. Da war keine Farbe mehr, kein Braun oder Stahlblau - die Waffe sah aus, als hätte jemand einen Strahl Mondlichts genommen und in diese Form gehämmert.

Zögernd nahm Khiray das Dekka'shin von Taphaliel entgegen. Durch seine Finger konnte er die Magie spüren. Mächtiger als alles, was Ghanzekk geschaffen hatte. Nein, mehr noch: diese Magie war nicht nur eine gespeicherte, gerichtete Kraft, die Dämonen vernichten konnte. Sie war eine Verbindung zur unendlichen Macht des Erzengels selbst.

Wer diese Waffe führte, konnte einen Dämonenfürsten erschlagen.

Der Erzengel wandte sich ab und breitete die Flügel aus.

"Wartet!" rief Khiray.

Taphaliel hielt inne.

"Was wird aus uns? Was wird aus diesem Ort? Was soll ich mit dieser Waffe tun?" Der Fuchs hob die Schultern. "Was ist mit Galbren?"

Das Raubvogelgesicht war undeutbar. "Ihr müßt eure eigenen Antworten finden."

"Wir haben nicht darum gebeten, von Dämonen heimgesucht zu werden!"

"Niemand bittet um sein Schicksal. Es kommt ungefragt in euer Haus, bringt manchmal Gold und langes Leben, und manchmal frißt es eure Kinder. Du kennst bereits mehr Antworten als die meisten anderen, Khiray." Khiray war dankbar, daß der Erzengel ihn nicht mit 'kleiner Fuchs' titulierte. "Du wirst auch die übrigen finden."

Damit erhob er sich in die Luft und verschwand in einem Schimmer aus goldenem Licht, Finsternis zurücklassend.

Khiray setzte sich neben Saljin auf den harten Boden. Der Erzengel war gekommen und gegangen und hatte doch nur eine große Leere hinterlassen. Er war grenzenlos erschöpft. Die Dämonen waren tot - vernichtet, vergangen, für immer dahin. Aber statt daß er sich als Sieger fühlte, kroch nur Kälte und Müdigkeit durch seine Adern.

Sie blieben dort sitzen, bis die ersten Sonnenstrahlen den Horizont aufhellten. Die Schlacht hatte fast die ganze Nacht gedauert. Das letzte Duell zwischen Beladanar und Taphaliel, das so kurz gewesen zu sein schien, hatte in Wahrheit Stunden gewährt.

Etwas stimmte nicht.

Ein unangenehmes Gefühl durchzuckte Khiray, als hätte er etwas vergessen. Die Dämonen? Nein, in dieser Hinsicht konnte er dem Erzengel vertrauen. Die Geister? Nein, sie waren verschwunden; wenn noch irgendwo Geister lauern mochten, die sich dem Tanz nicht angeschlossen hatten, so würden sie im Tageslicht nicht zum Vorschein kommen. Galbren? Nein, in der Stille wäre sein Schiff zu hören gewesen; wo auch immer der Gouverneur jetzt sein mochte, hier war er nicht.

Seine Augenlider waren so schwer... doch er konnte nicht schlafen.

Pallys. Wo war er geblieben? Die Verteidiger waren an der Stelle zusammengesunken, wo sie ihren letzten Kampf ausgetragen hatten, unfähig, auch nur zum Schiff zurückzukehren. Das Kaninchen mußte noch im Tempel sein.

Mühsam erhob sich Khiray. Sie konnten hier nicht länger im Staub sitzen.

"Wohin willst du?" brachte Saljin hervor.

"Ich sehe nach Pallys; dann setzen wir zur 'Ansicc' über. Ich denke, ein wenig Schlaf wird uns gut tun."

"Ich komme mit." Die Fuchstaurin quälte sich auf die Beine.

"Du kannst kaum laufen", stellte Khiray fest.

Saljin stützte sich auf ihn. "Es geht schon." Aber Khiray merkte, daß es eben nicht ging - jeder Schritt schien ihr Schmerzen zu bereiten, auch wenn sie sich abmühte, es nicht zu zeigen. Verdammnis; er hätte den Erzengel bitten sollen, diese Heilung zu vollenden!

Mehr kriechend als gehend betraten sie das Innere des Tempels.

Warum nur ließ sich dieses dunkle, unangenehme Gefühl nicht vertreiben? Etwas, das er vergessen hatte. Etwas Wichtiges. Eine Frage, die niemals beantwortet worden war.

Als er Pallys sah, wußte er es.

Was war aus Anzikhed geworden, dem Magier der Vergangenheit, der Pallys den Ruf beigebracht hatte? Das war die Frage, die er nie gestellt hatte. Das Kaninchen hatte Anzikheds Schicksal in seiner Erzählung ausgespart; der Weg des Magiers endete dort, wo er den Erzengel beschwor.

Das Dämmerungsdunkel verbarg das wahre Ausmaß von Pallys' Verletzungen, aber Khiray mußte es gar nicht sehen. Die Kraft einer ganzen Stadt, die Macht der Toten, die Energie, die die Sphären durchdrang und bis ins Reich der Erzengel vorstieß, hatte seinen Körper beseelt - und war auf einen Schlag freigesetzt worden. Der Blitz, der Taphaliel den Weg gewiesen hatte, hatte einen Ursprung besessen.

Das Kaninchen war verbrannt, sein Fell vom Körper gesengt, die Haut geschwärzt. Die langen Ohren waren nur noch Stümpfe, die Gesichtszüge kaum mehr zu erkennen. Allein der Zauber, der Pallys' Unsterblichkeit erhielt, sorgte noch dafür, daß das Kaninchen noch lebte, aber gegen diese Mächte half auch kein Zauber mehr. Pallys lag im Sterben.

"Khiray?" Die rostige Stimme entrang sich der blutigen Schnauze. "Ist er gekommen?"

"Er ist gekommen." Der Fuchs schluckte schwer. "Die Dämonen sind vernichtet." Er und Saljin hockten sich neben Pallys. Saljin nahm den Kopf des Kaninchens zwischen die Vorderpfoten - nicht, daß es noch etwas genützt hätte, denn die blinden Augen starrten ins Leere.

"Der Hort... im Zentrum des Eises..."

"Ich will es nicht wissen!" rief Khiray erschrocken. "Sag' es mir nicht!"

"Wie du willst... obwohl du dich manchmal fragen wirst, wie es wäre... Alvanere... Alvanere ist befreit... die alte Schuld beglichen. Vielleicht hätte ich vor vierhundert... Jahren hier sterben sollen. Alles endet, nichts ist von Dauer... so viel Schönes, und so viel Leid..."

Khiray wußte nichts darauf zu antworten. Er konnte sich nicht vorstellen, vierzehntausend Jahre lang zu leben, und er wollte auch gar nicht wissen, wie es war. Ein Leben war genug.

"Nicht nur für Alvanere..." Pallys hustete, verstummte... doch gerade als Khiray vermutete, daß das Kaninchen gestorben sei, sprach er weiter. "Du hast mir einen Weg gezeigt... den ich einmal kannte... und der vor vielen tausend Jahren verschüttet worden ist..." Er bäumte sich auf, sackte wieder in sich zusammen und begann zu wimmern. "Mutter? Es ist so dunkel hier! Wo bist du?"

Pallys hatte diese Zeit verlassen, war zurückgekehrt in seine Kindheit. Saljin beugte sich vor und flüsterte in die Überreste seiner Ohren: "Scht, mein Kleiner! Ich bin ja hier! Schau nur, die Sonne scheint..."

"Sonne...", flüsterte Pallys.

"Es ist Sommer... und der Geruch nach frischem Gras hängt in der Luft. Siehst du die Felder dort drüben, und den Bach?"

"Wasser... Erde unter meinen Pfoten..." Das Kaninchen kicherte fröhlich. Er schien keine Schmerzen mehr zu spüren. "Und Bäume..."

"Bäume, die bis in den Himmel aufragen...", murmelte Saljin mit erstickter Stimme.

"Himmel... Syrradrea...", wisperte Pallys und starb.

* * *

In gedrückter Stimmung kehrten sie zum Schiff zurück, schweigend, verwundet und erschöpft. Sie hatten Pallys' Leiche auf dem Altar im Tempel zurückgelassen. Ghanzekks Stäbe blieben bis auf wenige ebenso zurück; die meisten waren ihrer Energie beraubt und wertlos geworden, und für die Zauberer am Hofe des Drunfürsten würden sich die Bücher des Leoparden-Magiers eher als nützlich erweisen als seine halb ausgebrannten Instrumente. Für Studienzwecke mußten die wenigen genügen, die sie nicht verbraucht hatten.

Einen Fürsten der Hölle konnten sie, wie sie erfahren hatten, ohnehin nicht schlagen.

Die 'Silberne Ansicc' legte ab und fuhr langsam das Ufer entlang. Die Ruinen blieben zurück, schweigend, aschgrau selbst im Rot der Morgensonne. Khiray betrachtete die Überreste von Alvanere vom Achterdeck aus. Nach einer Weile gesellte sich Saljin zu ihm. Delley hatte ihr einen straffen Verband angelegt, in der Hoffnung, daß die inneren Verletzungen sich geschlossen hatten. Die Fuchstaurin verlor noch immer Blut. Sie mußte sich auf die Reling stützen, um überhaupt voranzukommen.

"Du solltest nicht hier herumlaufen", sagte Khiray.

"Ich weiß", erwiderte Saljin.

Der Fuchs hob das mondsilberne Dekka'shin. Die Waffe wisperte ihm verheißungsvoll zu, aber er blockierte seine Gedanken gegen die gleißende Macht des Erzengels. Er hatte genug vom Töten, genug von Dämonen, genug von Zauberei.

Nur noch eins blieb zu tun.

Er richtete das Dekka'shin auf die Ruinen und gab die Macht frei - einen Teil nur, ein Quentchen der unendlichen Energie, die Taphaliels Kraft begründete.

Alvanere explodierte lautlos. Licht verschlang die Ruinen, hüllte die Trümmer ein, verbrannte die Asche. Der Tempel im Zentrum verging im Feuer des Erzengels, und Pallys mit ihm. Selbst der Stein, auf dem die Stadt errichtet worden war, wurde vom allesverzehrenden Weiß aufgenommen. Als das Licht verlosch, strömte Wasser in die Bucht, wo einst Alvanere gewesen war.

Khiray nickte langsam. Dann half er Saljin zurück zu seiner Kabine, breitete eine Decke über ihren Körper, legte sich neben sie und schlief ein.


Ende von Kapitel Vierundzwanzig