Kapitel Achtzehn


Saljin konnte sich von ihrem Verdacht nicht freimachen, während sie sich Khiray anschloß, um die Waffen zu suchen. Sie brauchten nicht lange; Ghanzekk hatte sein Werk nicht versteckt - obwohl es sich natürlich, wie hätte es anders sein können, hinter der letzten Tür befand, die sie öffneten.

"Wir hätten gar nicht die Schränke durchwühlen brauchen", bemerkte Khiray.

Vor ihnen, säuberlich in Gestellen angeordnet, standen fünfzig oder mehr magische Stäbe. Einige waren kurz, wie Pallys' Stab. Andere hatten eine Länge von zwei Metern und besaßen eine beträchtliche Dicke. Ein paar lagen in der Größe dazwischen. Alle hatten sie die Runenverzierungen gemeinsam, die arkanen Zeichen, die tief ins Holz geschnitzt waren.

Ein paar Bücher standen gut sichtbar zwischen den Stäben. Khiray beäugte sie mißtrauisch. "Ich glaube, wir sollten die hier auch mitnehmen. Dämonenkunde. Wege zum Beherrschen von Dämonen. Scheint nützlich zu sein."

Saljin seufzte. "Wenn wir nur Zeit haben, sie zu lesen."

Khiray zuckte hilflos die Achseln. Die Zeit war gegen sie. Aber hatten sie eine Wahl?

Das Wetter war nicht mehr so gut wie zuvor. Der Himmel hatte sich bewölkt, und Regenwolken zogen auf. Vielleicht würden sie weiter die Berge hinaufziehen, vielleicht auch ihre Last über ihnen abladen. Kühler Wind trieb aus der Richtung des Flusses heran.

Sie begannen damit, vor dem Haus ein primitives Gestell aus Stangen und Stricken zu basteln. Fünfzig Stäbe konnten sie nicht einfach so unter den Arm klemmen. Sie banden einen Teil der magischen Utensilien fest auf das Gestell und verwünschten den Umstand, daß sie keine Räder finden konnten. Eine Karre wäre durchaus willkommen gewesen.

Saljin würde das Gestell hinter sich herziehen. Khiray packte die kürzeren Stäbe und die Bücher zu einem Bündel, um es sich auf den Rücken zu packen. "Wenigstens geht es diesmal bergab", brummelte er. "Das ist keine Gegend für Flußfelligenbeine."

Die Fuchstaurin lächelte. Jeder von ihnen behielt einen kürzeren Stab, den sie sich in den Gürtel stecken konnten; nur für den Fall, daß noch mehr Dämonen auftauchten. Khiray brauchte eine Weile, Saljin die Benutzung der magischen Waffe zu erklären - er war kein so begabter Lehrer wie Pallys.

Pallys.

Saljin hatte den Verdacht bei sich behalten und gegenüber Khiray kein Wort gesagt. Sie war entschlossen, das Kaninchen scharf zu überwachen und es zu töten, sollte sich die Vermutung als wahr erweisen. Sie verwünschte sich selbst dafür, daß sie nicht von Anfang an ein Auge auf Pallys gehalten hatte.

Aber er hatte sie doch vor den Dämonen gerettet, oder? Wie konnte er mit ihnen im Bunde stehen? Was hatte das Kaninchen wirklich vor? Wenn Pallys der dritte Spieler war, was war sein Ziel? Bloßes Überleben war nicht genug. Die Dämonen waren auch für den Vierzehntausendjährigen eine große Gefahr. Ginge es nur um sein Leben, hätte Pallys die Dämonen nie beschworen.

Wenn er es getan hatte. Es gab keinen Beweis. Er hatte Hhrugha khi Dmurag im Dorf der Otter vernichtet, die Bären-Dämonen aufgehalten, das geheime Versteck unter Sookandil an Khiray verraten. Er war ein Freund.

Verdammnis. Er war ein Freund. Allein die Unwahrscheinlichkeit dieses Zusammentreffens sprach gegen ihn: Dämonen, die ausgerechnet in Sookandil erschienen, wo Pallys lebte. Das, und natürlich seine Heimlichtuerei, seine Lüge, sein ausweichendes Wesen. Aber wie konnte sie jemanden beurteilen, der so lange gelebt - und in dieser Zeit sicher viel Entsetzliches erfahren hatte? Vielleicht steckte hinter seinen Geheimnissen eine ganz andere Geschichte, eine, die sie gar nicht wissen wollte.

Sie würde abwarten müssen. Saljin schüttelte sich. Das Warten war das Schlimmste. Ihre Verpflichtung Khiray gegenüber - die sie band, obwohl sie ihn mochte (liebte? Sie scheute vor dem Wort zurück, solange sie nicht frei war zu tun, was sie wollte), obwohl sie ihn vielleicht einmal als Gegner betrachten mußte. Der Zweifel Pallys gegenüber - obwohl er ein Freund war, war er vielleicht der gefährlichste Gegner...

"Hallo!"

Die Stimme ließ sie von dem Bündel mit Stäben aufblicken. Khiray stand mitten auf dem Weg, als sei er gerade den Berg heraufgestiegen, und grinste sie an.

Aber Khiray war doch...

...hinter ihr.

Sie drehte sich um. Der Fuchs fletschte die Zähne, das Fell gesträubt, den Stab in der Hand.

Jetzt erst sah sie, daß rötliches Feuer um die Pfoten des zweiten Khiray spielte. "Khezzarrik!" rief sie. Die Fuchstaurin hatte ihn nie gesehen, aber das Feuer war ein deutliches Zeichen. Khiray hatte von ihm erzählt - dem vielleicht furchtbarsten der Dämonen. Furchtbar, weil er den Geist beherrschte statt nur mit brutaler Kraft zuzuschlagen - furchtbar, weil sich sein Gift hinter einer Maske der Schönheit verbergen konnte.

Der Dämon verbeugte sich. "Zu Diensten."

Khiray schlug zu. Das grüne Feuer formte eine Wand vor Khezzarrik khi Valanghassis, einen energetischen Vorhang, der viel dichter war als das, was Pallys' Stab vollbracht hatte. Vielleicht lag es daran, daß dieser Stab neu und voll geladen war, vielleicht hatte Ghanzekk auch Grundsätzliches daran geändert. Zeit genug hatte er ja gehabt.

Doch der Dämon ließ sich nicht beeindrucken. Er wurde nicht von den Flammen angezogen, und er verfing sich auch nicht in ihnen. Er machte einfach ein paar Schritte vorwärts und trat durch die Barriere. Die einzige sichtbare Auswirkung war, daß die Khiray-Gestalt einen Moment waberte, als würde man sie durch erhitzte Luft hindurch betrachten. Dann stand er auf der anderen Seite des Energievorhangs und schüttelte den Kopf. "Das war nun wirklich reine Verschwendung. Ich dachte, es wäre dir bekannt, daß Ghanzekks Stäbe nur gegen mindere Dämonen helfen. Komm schon, ich bin ein Fürst unter meinesgleichen, keiner dieser primitiven Bestien."

Saljin legte den Kopf in den Nacken und heulte einen Hilferuf heraus. Es blieb ihr keine Wahl. Khezzarrik konnte sie vernichten, wenn er vollkommen unempfindlich gegen die Stäbe war. Vielleicht waren die Trolle immun gegen seine Magie und konnten etwas ausrichten, oder ihnen wenigstens die Flucht ermöglichen.

Doch das Gefühl in ihrem Magen sagte ihr, daß all das nichts helfen würden. Wenn sie es nicht schafften, den Dämon zu überlisten, waren sie verloren.

Khezzarrik bestätigte ihre böse Ahnung. "Die Trolle werden nicht kommen. Ihre geringe Magie hat keinen Bestand neben meiner. Ich könnte sie für alle Zeit erstarren oder ihre Körper als glühende Lava zerfließen lassen. Nein, von dieser Seite habt ihr keine Hilfe zu erwarten. Und, Khiray, bitte laß' die großen Stäbe liegen. Sie helfen auch nichts; ihr vergeudet bloß magische Energie."

Hinter ihm flackerte die grüne Flammenwand und brach in sich zusammen. "Ich kann jeden einzelnen der Stäbe ebenso rasch unwirksam machen. Es kostet mich zwar Kraft, zugegeben, aber ein Dämonenfürst hat selbst in dieser Sphäre und Ebene noch reichlich davon. Nicht so wie die armen Narren, die sich hier Bärengestalt gegeben haben: viel Kraft, aber kein Zauber. Ihr Tod hier bedeutet auch den Tod ihrer wirklichen Existenz. So ein Pech aber auch!"

"Du hast nicht besonders viel Mitleid mit deinen Schützlingen", knurrte Khiray.

"Schützlinge? Ach, bitte! Eine Horde dummer Angeber, die so närrisch waren, sich von Beladanar hierher locken zu lassen. Diese Welt ist nicht ungefährlich für Dämonen, mit all den Erzengeln und so. Aber wenn sie es wäre, wäre es ja auch kein Prestigefaktor in der Hölle, hier Macht auszuüben, oder? Die köstlichen Qualen der Sterblichen sind manches Risiko wert."

Der Fuchs knurrte nur.

"Ach, komm!" erwiderte Khezzarrik. "Ihr Sterblichen seid selbst versessen auf Macht und Einfluß, und nicht wenige von euch gedeihen durch den Tod oder das Leiden anderer. Selbst die unter euch, die nach euren eigenen Maßstäben gut sind, ein vorbildliches Leben führen und als Heilige verehrt werden, essen Fleisch und töten Tiere für ihr eigenes Wohlergehen. Und wenn sie es nicht tun, töten sie Pflanzen, zertreten Käfer, zerquetschen Flöhe und Läuse in ihrem Fell. Was willst du? Das Leben hier ist ebenso ein ewiger Kampf wie in der Hölle. Wußtest du, daß deine Vorfahren, viele tausend Generationen vor deiner Zeit, in Zeiten des Mangels ihre Welpen gefressen haben, wenn sie sie nicht mehr ernähren konnten? Was unterscheidet euch Heutige von ihnen?"

"Die Fehler anderer sind keine Rechtfertigung für die eigenen", sagte Saljin fest. "Wir mögen töten für unser Essen - die wenigsten von uns vertragen ein gänzlich fleischloses Leben -, oder unsere Feinde bekämpfen, wenn es sein muß. Aber ihr seid hier Fremde. Ihr habt kein Recht, hier zu sein. Ihr könnt in der Hölle leben, ohne Mangel zu leiden. Ihr braucht euch nicht an unserem Leiden zu weiden." Sie wußte nicht, ob eine Diskussion mit dem Dämon irgendwelche Resultate erbringen würde, aber es zögerte das Unvermeidliche hinaus. Saljin bezweifelte, daß Khiray unter der Drohung des Todes kaltblütig genug sein würde, um Khezzarrik zu übertölpeln. Er war kein Krieger. Sie hingegen war erzogen worden, um auch in gefährlichen Momenten die Nerven zu behalten. Mochten ihre Pfoten auch zittern, sie würde kämpfen! Und sei es nur mit Worten.

Doch sie hegte keine großen Hoffnungen. Khezzarrik dünkte sich nicht nur schlau, er war es. Und er war mächtig. Nur in alten Geschichten täuschten die Helden ein übermächtiges Wesen lange genug, um es zu töten.

"Was weißt du schon von der Hölle!" Khezzarrik warf den Kopf in den Nacken. "Es ist kein Ort, an dem deinesgleichen leben könnte. Wie auch immer, wir haben ebensoviel Recht, hier zu sein, wie ihr. Die Fuchstauren wie auch die Felligen des Armygan stammen nicht von hier. Ihr seid einst aus den Heimatländern gekommen. Und was das Leiden betrifft, so kümmert mich eine Rechtfertigung eigentlich wenig. Ich bin durch zahllose Gesetze und Regeln im Reich der Dämonen gebunden. Warum sollte ich mir hier auch noch die euren aufzwingen lassen? Ich habe die Macht, zu tun, was immer ich will."

"Nein", sagte Khiray. "Du bist Beladanar unterworfen."

Saljins Blick wanderte von einem Khiray zum anderen. Äußerlich waren sie völlig gleich. Doch da war etwas in ihrer Haltung, ihrem Gebaren, ihren Gesten, das ihr sehr deutlich machte, wer wer war. Khezzarrik war hochmütig, gönnerhaft, spöttisch. Und in seiner Stimme schwang etwas mit, das... wie sollte sie es bezeichnen?... Unsicherheit sehr ähnlich war.

Unsicherheit? Sie sog prüfend die Luft ein. Khezzarrik roch auch genauso wie Khiray, mit einem kleinen Unterschied... er strömte eine Aura der Ungeduld aus. Ärger. Ja, und auch Unsicherheit. Sie begann zu ahnen, daß der Dämon mehr wollte, als sie nur zu vernichten.

"Ja", gab Khezzarrik zu. "Beladanar... seine Gunst ist schwer zu ertragen. Ohne mich hätte er diese Sphäre nie betreten können. Galbren ist als Zauberer nicht mächtig genug, ihn zu sich zu holen. Und wenn er es wäre, so hätte er ihn jedenfalls nicht wieder zurückschicken können. Hinein in die Hölle, hinaus aus der Hölle, Khezzarrik tu dies, Khezzarrik tu das. Ich bin ein Fürst, kein Laufbursche! Aber mich bindet der Eid an Beladanar. Er ist der Herr meines Kreises." Der Dämon lächelte, als würde er etwas Bestimmtes erwarten.

Sie mußte es wagen. "Was ist mit Pallys?"

"Pallys?" Der Blick des Dämonen, der bisher auf Khiray geruht hatte, ruckte herum und richtete sich auf sie. "Eine Enttäuschung bisher."

"Hat er etwas mit der Beschwörung Beladanars zu tun?"

Khiray fuhr zusammen und starrte sie ungläubig an. "Wie kommst du auf die Idee?"

Khezzarrik hingegen war keineswegs überrascht. "Schlau, schlau. Wäre ich ein sehr böser und hinterhältiger Dämon, würde ich jetzt ja sagen und mich daran ergötzen, wie du ihn tötest. Und hinterher würde ich dich ein weiteres Mal aufsuchen, dir erzählen, daß meine Auskunft eine Lüge war, und deine Verzweiflung trinken. Sehr schmackhaft. Aber ich bin ausnahmsweise nicht zu dieser Art von Spiel aufgelegt. Nein, Pallys hat Beladanar nicht beschworen. Das Buch, das er einst von Ghanzekk stahl, ist längst vernichtet, auch wenn es sicher irgendwo auf der Welt noch Abschriften gibt. Beladanar hätte mich nicht benötigt, um diese Sphäre zu betreten, wenn Galbren das Buch besessen hätte."

"Warum dann Sookandil? Wenn Pallys nichts mit alldem zu tun hat..."

Khezzarrik kicherte. "Ich sagte nicht, daß er nichts damit zu tun hat. Was du vielleicht als Zufall siehst, ist keiner. Wir sind Dämonen, meine weichfellige Schönheit. Hinter jedem unserer Pläne steckt ein weiterer, hinter jeder unserer Wahrheiten eine Lüge, hinter jeder unserer Lügen eine Enthüllung, die deinen Verstand verwirrt. Du weißt noch längst nicht alles, und ich werde es dir nicht verraten. Das wäre ganz und gar nicht in Beladanars Sinn."

"Warum dann? Warum bist du hier?" Sie stemmte die Arme in die Seiten.

"Deinetwegen", lächelte der Dämon.

Khiray sprang vorwärts. Entgegen Khezzarriks Rat hatte er einen der großen Stäbe genommen und drohte seinem Ebenbild damit. "Nein!"

Khezzarrik khi Valangassis seufzte. "Ich hatte dir doch gesagt... Nun, wie du willst. Versuche es."

Der Fuchs zögerte. "Du wirst sie nicht bekommen. Nicht, solange ich lebe."

"Ach, dieser Überschwang! Ganz entzückend. Aber ich könnte dich hier auf der Stelle bannen, dich bewegungslos dastehen lassen, während ich mir deine süße Geliebte nehme, so lange ich will. Und du könntest nichts tun als nur zusehen."

"Du..."

"Ich bin du, siehst du das nicht? Es macht keinen wirklichen Unterschied, oder? Kannst du eifersüchtig auf dich selbst sein? Oder stört es dich nur, daß ich besser gebaut bin als du? Stört es dich, daß ich ihr vielleicht mehr Vergnügen bereiten werde?" Er ließ mit einem Fingerschnippen sein Lendentuch verschwinden.

Es stimmte, er war "besser" gebaut als Khiray. Besser als jeder Fuchstaur, um genau zu sein. Aber "besser" war wohl nicht das richtige Wort. Selbst wenn er kein Dämon gewesen wäre, wenn sie ihm gegenüber Zuneigung empfunden hätte, wenn sie ihn als Partner hätte akzeptieren können - dann verspürte sie noch immer geringe Lust, sich pfählen zu lassen. Was Khezzarrik vorzeigte, war eine armdicke Monstrosität, die ihm bis zur Brust heraufreichte.

Langsam wurde ihr bewußt, was der Dämon wollte. Ihr Inneres krampfte sich zusammen.

"Nein...", flüsterte Khiray, sehr leise.

"Andererseits bin ich ein Dämon, und Vergnügen ist nicht das, was ich im Sinn hatte." Er konzentrierte sich, und aus seinem gewaltigen Instrument sprossen Dornen mit Widerhaken. "Das ist schon eher nach meinem Geschmack."

Saljin sah, daß Khiray unter seinem Fell erbleicht war. Seine Ohren hatten ihr gesundes Rosa verloren. Er legte den großen Stab an und löste den magischen Mechanismus aus, der die Energie freigab.

Das grüne Feuer blendete sie für einen Moment. Grelles Licht hüllte Khezzarrik ein, drohte ihn zu Asche zu verbrennen. Die Entladung machte ein Geräusch, als schlüge nur einen Meter von ihnen entfernt ein Blitz ein. Ein scharfer Geruch erfüllte die Luft.

Als sie wieder sehen konnte, stand der Dämon noch immer da. Aber er war von der magischen Energie schwer getroffen. Sein rechter Arm war verschwunden, hatte nur einen verkohlten Stumpf hinterlassen. In seinem Rumpf gähnte ein Loch, durch das Saljin die Bäume dahinter sehen konnte. Das Fell war von seinem Körper gesengt worden. Der stechende Gestank verbrannten Fleisches wehte zu ihnen herüber.

"Dz, dz!" machte Khezzarrik. Seine Augen schienen vom grünen Feuer blind geworden zu sein, und die Nase war aschgrau. Aber er ließ weder einen Laut des Schmerzes hören, noch fiel er tot um - wie es eigentlich sein sollte. "Das war nicht allzu intelligent. All die Energie des Stabes vergeudet, mit einem Mal! Und so sinnlos." Er zerfloß, wurde zu einem Klumpen grünen Schleims, der sich plötzlich aufblähte und dann zu einer neuen Form zusammenzog.

Khezzarrik war jetzt ein Vierbeiner, einem Fuchstauren ähnlich. Doch er hatte kein Fell, sondern harte, glänzende Schuppen, und der Schwanz war nicht weich und buschig, sondern einem Reptil ähnlich. Er lief in einer stachelbewehrten Kugel aus. Der Oberkörper war ebenso schuppig, bis auf den Kopf - Khezzarrik trug noch immer Khirays Gesicht, das auf dem veränderten Körper grotesk wirkte. An den Vorderbeinen trug das Wesen nach innen gerichtete Dornen.

Saljin ahnte, wozu sie dienen sollten. Sie wich unwillkürlich zurück und klemmte den Schwanz zwischen die Beine. Nicht, daß Widerstand ihr irgend etwas nützen würde. Khezzarrik hatte schon mit Khiray getan, was er wollte - er konnte ihren Körper nach seinem Amüsement benutzen, wie immer er wollte.

"Du kannst nicht...", hauchte Khiray.

Khezzarrik besah sich seine Schuppen. "Eines muß ich dir lassen. Ich hatte nicht erwartet, daß du die Magie gegen dich selbst einsetzt. Vielleicht hätte ich ihre Gestalt annehmen sollen. Hättest du dann auch so leichtsinnig auf mich gefeuert?"

Der Fuchs sank in sich zusammen. Er hatte getan, was er konnte. Sie waren Khezzarrik auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. "Bitte..."

"Oh, hörte ich richtig?" Der Dämon verzog die Schnauze zu einem Grinsen. "Wie war das?"

"Bitte! Bitte, tu das nicht!" Khiray sank auf die Knie. "Du willst sie doch gar nicht!" Der entladene Stab fiel zu Boden.

"Sie? Nein, wirklich nicht. Aber ihren Schmerz. Ich will Qualen, ich will die heulende Agonie des Fleisches. Ich habe lange nicht mehr so süß gespeist. Seit ich dich genossen habe, habe ich nur darauf gewartet, bis wir uns wieder begegnen."

"Du hast gesagt..." Der Fuchs erstickte fast an den Worten. "Du hast gesagt, daß ich es bin... daß... Nimm mich, nimm mich an ihrer Stelle!" Tränen liefen seine Wangen hinab.

Saljin schüttelte langsam den Kopf. Nein. Nein, das konnte er nicht tun! Khezzarrik würde ihn töten, langsam und genüßlich... Wie er es schon die ganze Zeit über vorhatte. Sah Khiray nicht, daß der Dämon nur mit ihnen spielte? Er weidete sich an diesem Vorspiel. Er nährte sich von ihrer Verzweiflung. Sie konnten nicht entkommen. Das Spiel war verloren; sie waren in der Hand eines Wesens, das Gnade weder kannte noch zeigen wollte.

Ihre Hand wanderte langsam zum Dekka'shin. Ein Steich würde genügen, um Khirays Kopf vom Körper zu trennen. Eine weitere Bewegung, um mit der anderen Klinge ihren Hals aufzuschlitzen. Sie wußte nicht, wie weit Khezzarriks Macht reichte, aber wahrscheinlich besaß er keine Heilkünste. Ihr Leben konnte er sicher nicht retten. Er würde nur einen kleinen Schmerz von ihnen bekommen, und dann nie wieder etwas. Der Tod war ihr letzter Ausweg. Sie würden dem Dämonen nicht zum Dessert werden, ihm versagen, was er begehrte.

Ein magerer Triumph, sicher. Und sie würden die Waffen nicht zur 'Silbernen Ansicc' schaffen können. Ihre Freunde würden vergeblich auf sie warten. Die Dämonen hatten gesiegt. Vielleicht würde sogar Galbren seine Pläne noch retten können.

Aber es war zu spät, um sich darüber noch Gedanken zu machen. Ihre Hand schloß sich um den Griff ihrer Waffe.

So war es also doch dazu gekommen, daß sie Khiray töten mußte. Aber sie würde es in Liebe tun und nicht im Zorn. Ihr letztes Geschenk an ihn.

"Ich könnte dich ohnehin haben", erwähnte der Dämon beiläufig. "Wie solltest du mich daran hindern? Ich kann mit euch beiden tun, was immer ich will. Nichts bindet mich!"

Bindet? Saljin schloß die Augen und versuchte sich auf den Schlag zu konzentrieren, doch ihre Gedanken rasten. Khezzarrik betonte das Wort so, als habe es eine Bedeutung. Was band einen Dämon? Kein Eid, denn sie hatten keine Ehre. Ein...

"Ein Pakt!" schrie Khiray. "Ein Pakt, ich verlange einen Pakt!"

Götter. Khezzarrik wollte es. Der Dämon manipulierte sie. "Nein, Khira y!" Sie wollte zuschlagen, aber Khezzarrik schien ihre Absicht zu erraten. Der Schaft des Dekka'shin zerbrach unter ihren Fingern, und die Klingen fielen herab. "Khiray, er will deine Seele! Biete ihm nichts an!"

"Ich kann nicht!" Der Fuchs barg sein Gesicht in den Händen. "Er wird... ich kann nicht anders!" Ein Schluchzen erschütterte seinen Körper. "Ich liebe dich! Bitte! Ich... ich will den Pakt!"

Khezzarrik trat ganz nahe an ihn heran. "Gut so. Und denke daran: Ich will deine Seele nicht. Man kann Seelen nicht binden. Seelen gehören einer höheren Macht, als es Dämonen oder Erzengel oder Götter sind. Seelen gehören nur dem Licht. Was ich will, bist du. Ich habe dich immer gewollt, seit du aus den Gewölben geflohen bist." Seine schuppige Gestalt zerfloß abermals, wurde zu Saljins Körper. "Ich will dich, deine Begierde, deine Lust!" Die Struktur änderte sich abermals, und Khezzarrik nahm seine Khiray-Gestalt an. "Ich will deinen Schmerz, dein Feuer, deinen Geist, deinen Körper! Wähle gut, was dein Preis in diesem Pakt ist, denn den meinen werde ich heute nacht bekommen."

Saljin konnte ihre Pfoten nicht bewegen. Sie versuchte sich zu den beiden Hälften des Dekka'shin niederzubeugen, aber es gelang ihr nicht. Ihr Körper fühlte sich an wie altes Holz, morsch und wrack. Sie konnte nicht einmal mehr sprechen.

"Ich... ich will, daß du Saljin in Ruhe läßt." Khiray überwand seine Lähmung mit sichtlicher Anstrengung. Aber er konnte den Kopf nicht heben und ihrem Peiniger in die Augen sehen - die Augen, die zugleich seine eigenen waren.

"Mehr nicht?"

"Für immer! Du wirst uns nie mehr heimsuchen! Wir wollen dich niemals wiedersehen!"

"Tsk, wie undankbar, für all meine Bemühungen." Khezzarrik senkte seinen Kopf und hob Khirays Schnauze mit einer Hand, bis der Fuchs gezwungen war, den Dämonen anzusehen. "Ich frage dich noch einmal, mehr nicht? Triff jetzt deine Wahl, denn danach bist du mein, bis die Sonne morgen früh aufgeht. Und ich werde jede Sekunde genießen."

Khiray wollte zurückweichen, doch der Bann schien auch ihn zu fesseln. Saljin sah, wie er dagegen ankämpfte. "Die Dämonen! Sie sollen verschwinden! Sie sollen niemals mehr zurückkehren!"

"Oh!" Angewidert wandte sich Khezzarrik ab. "Das ist ein Pakt zwischen dir und mir! Nicht zwischen dir und den anderen Dämonen. Du kannst Beladanar nicht vorschreiben, was er zu tun hat. Du und ich, das ist der Pakt. Du kennst meinen Preis. Wähle gut, dann werde ich dich vielleicht nicht verletzen... nun, jedenfalls nicht sehr. Wähle gut, und ich verzichte darauf, dich zu verstümmeln oder deinen Geist in die ewige Nacht des Wahnsinns zu verbannen." Er wirbelte herum und versetzte Khiray eine Ohrfeige. "Jetzt sofort!"

Endlich schien eine Erkenntnis den Fuchs zu durchströmen. Seine Augen klarten auf. Saljin stöhnte, aber kein Laut entrang sich ihrer Brust. Wußte Khiray nicht, was er tat? Er war verloren - den Dämonen war nicht zu trauen, besonders nicht diesem. Sie verstand, warum Khiray es getan hatte. Aber was beabsichtigte Khezzarrik khi Valangassis?

Dämonische Spiele. Aber Khiray schien die Antwort zu kennen...

Der Fuchs erhob sich und verschränkte die Arme. Saljin hatte den Eindruck, als wolle er das Zittern in seinen Händen verbergen. Sein Schwanz war um ein Bein gewickelt, und sein Fell noch immer gesträubt. Aber seine Stimme war klar. Er hatte den Schlüssel gefunden. "Khezzarrik khi Valangassis, ich verlange, daß du den Bund mit Azzhuzzim Beladanar brichst und ihm nicht länger dienst! Ich verlange, daß du, sobald du deinen Preis erhalten hast, in die Hölle zurückkehrst und sie nie mehr verläßt! Du wirst keine Tore mehr öffnen, weder in diese Sphäre und Ebene noch in eine andere. Du wirst keinen anderen Dämonen diese Kunst lehren oder zulassen, daß ein anderer Dämon das Öffnen der Tore erlernt. Wenn es bereits andere Dämonen mit dieser Fähigkeit gibt, wirst du sie daran hindern, sie auszuüben. Kein Dämon wird jemals wieder unsere Welt durch ein Tor betreten. Du wirst die anderen mit dir nehmen..."

Khezzarrik unterbrach ihn. "Das ist nicht möglich. Ich kann keinen Pakt für die Dämonen abschließen, die schon in dieser Welt sind. Und 'nie mehr' ist doch eine etwas harte Bedingung..."

"Nie mehr! Nie mehr wirst du in diese Welt kommen! Nie mehr wirst du einen von uns bedrohen oder foltern. Dieser Pakt bindet dich... für alle Zeit!"

"So sei es." Der Dämon breitete die Arme aus. "So sei es! Der Pakt ist geschlossen, und du bist mein!"

Die Luft um die beiden Khirays schien zu flimmern. Die Gestalten verschwammen. Der Bann löste sich von Saljin, aber sie konnte nichts mehr tun. Sie streckte die Hand aus und rief Khirays Namen, aber sie wußte nicht einmal, ob sie gehört wurde. Nur ein letzter Blick blieb ihr. Khiray sah sie an, mit einer Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Furcht - und Hoffnung, ja, und Liebe.

Er hatte sich um ihretwillen darauf eingelassen. Er spielte Khezzarriks Spiel und würde dafür leiden.

Sie sank nieder und begann zu weinen, und es war niemand da, um sie zu trösten. Der Wald schwieg, und die Heimat war fern.

So fern.

* * *

Als es zu regnen begann, zerrte sie das Gestell mit den Stäben ins Haus und brachte die Bücher in Sicherheit. Sie schloß die Tür des Hauses jedoch nicht. Sie wollte nach draußen sehen können, um die Rückkehr des Dämonen nicht zu versäumen. Khirays Rückkehr.

Der Sonnenuntergang fügte der Dunkelheit nur etwas mehr Schwärze hinzu. Durch die dichte Wolkendecke war die Sonne schon am Abend nicht zu sehen gewesen. Das Rauschen des Regens, das Glucksen kleiner Bäche, das Prasseln der Tropfen auf Blättern erfüllte die Nacht. Saljin ertappte sich dabei, wie sie in die Finsternis starrte. Bis die Sonne morgen früh aufgeht, hatte Khezzarrik gesagt, und keine Sekunde eher würde er erscheinen. Es hatte keinen Sinn.

Sie versuchte, in den Büchern zu lesen, um die Zeit zu nutzen. Selbst wenn Khezzarrik seinen Teil des Paktes einhielt, waren noch immer Dämonen in der Welt. Der Kampf ging weiter.

Aber die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Einiges schien in der Sprache der Leoparden geschrieben zu sein, und sie konnte es ohnehin nicht lesen. Doch selbst die einfachen Teile in der gewöhnlichen gemeinsamen Sprache des Armygan entglitten ihrem Geist.

Sie mußte an Khiray denken. An das, was Khezzarrik ihm antun würde - nein, ihm antat, gerade jetzt, in diesem Moment. Aber es war seine Wahl gewesen. Er hatte den Pakt geschlossen. Er hatte es gewußt.

Nein. Es war in Wahrheit Khezzarriks Idee. Er hatte sie so lange manipuliert, bis Khiray die Worte ausgesprochen hatte. Und der Fuchs hatte es nicht um seinetwillen getan, sondern für sie.

Verdammnis. Er hatte es getan, um sie zu retten. Der Pakt sah noch mehr vor, und irgendwie schien gerade das in die Pläne des Dämonen zu passen, doch sie allein war Khirays erster Gedanke gewesen.

Noch ein Stück dieser Schuld mehr. Wieder hatte er ihr Leben gerettet, und wenn nicht ihr Leben, so doch die Unversehrtheit ihres Körpers. Sie hatte die Hände des Dämonen bereits auf ihrem Rücken gespürt. Ein kalter Schauer überfuhr ihr Fell.

Sie versuchte zu schlafen. Sie verriegelte die hintere Tür der Bibliothek und nahm sich ein paar alte Decken. Das Bett, in dem die Leiche des Magiers lag, würde sie nicht anrühren. Sie war nicht zimperlich, aber dort zu schlafen, wo diese Mumie gewesen war, konnte sie sich nicht vorstellen.

Aber sie konnte auch so nicht schlafen. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf, wieder und wieder, ohne Ende. Khiray, oh Khiray! Hätte sie an seiner Stelle dasselbe tun können? Nicht er war der Krieger.

Spielte es eine Rolle? Die Entscheidung war gefallen. In Wahrheit war es die Wahl des Dämonen gewesen. Sie waren seine Spielfiguren...

Spielfiguren.

Der Gedanke durchzuckte die Fuchstaurin wie ein Blitz. Plötzlich erkannte sie die Wahrheit. Khezzarrik war der dritte Spieler! Er hatte sich so unscheinbar im Hintergrund gehalten, daß sie ihn nicht verdächtigt hatte. Aber in Wahrheit gehörte er zu den Mächtigen. Er hatte die Tore geöffnet, die die Invasion der Dämonen überhaupt erst möglich machten. Ohne ihn würde Beladanar nicht in die Hölle zurückkehren können.

Natürlich. Das war der Schlüssel. Der Pakt verpflichtete Khezzarrik, Beladanar hier zurückzulassen. Er war dem Herrn der Würmer verpflichtet, aber der Pakt schien noch etwas mehr zu bedeuten, denn sonst hätte er sich nicht auf Khirays Forderungen einlassen können.

Er mochte lügen. Das war immer eine Möglichkeit. Aber warum sollte er? Er hatte einen Grund, weshalb er sie nicht gleich getötet hatte. Er hatte seine eigenen Pläne. Er hatte von Khiray bestimmte Worte hören wollen, so, als hätte er sie ihm selbst diktiert. Nicht Saljins Sicherheit lag ihm am Herzen. Das war nicht der entscheidende Teil. Nicht Khirays Unterwerfung war sein Ziel. Die hätte er für einen geringeren Preis bekommen können. Nein, er hatte den Fuchs immer wieder gefragt. Und Khiray hatte schließlich gewußt, was er bezweckte.

Die Loslösung von Beladanar. Nur das war das Entscheidende. Khezzarrik war ein Fürst der Hölle, so hatte er es jedenfalls dargestellt. Doch er war dem Herrn der Würmer unterworfen. Bis jetzt. Das war das Spiel, das er gespielt hatte. Ein Pakt mit Sterblichen, der es ihm ermöglichte, wortbrüchig zu werden. Wenn Khezzarrik in die Hölle zurückkehrte, würde Beladanar allein zurückbleiben, zusammen mit den Dämonen, die er mit sich gebracht hatte. Er konnte keine Verstärkung holen und besaß keine sichere Zuflucht. Wenn die Erzengel auf ihn aufmerksam wurden, war er verloren.

Und Khezzarrik hatte einen Rivalen im Kampf um die Herrschaft in der Hölle verloren. Das Spiel ging an ihn. Alles andere war nur ein Vergnügen nebenbei. Ein Vergnügen, das Khiray erleiden mußte. Vielleicht würde Khezzarrik ihn nicht schwer verletzen. Vielleicht. Aber die Erinnerung an das Geschehene würde Khiray immer verfolgen. Schon seine erste Begegnung mit dem Dämon hatte ihm Alpträume beschert. Was mochte Tor ihm nun antun?

Sie schlang die Arme um den Oberkörper und zog die Beine an den Rumpf. Die Nacht war sehr kalt.

Irgendwann hörte der Regen auf. Die Wolken trieben davon, und einige Sterne erschienen am nächtlichen Himmel. Vom Unterschlupf in der Bibliothek aus konnte die Fuchstaurin die schwarze Linie des Waldes sehen.

Sie verstand nun die Zusammenhänge. Ein Teil würde ihr auf ewig unbegreiflich bleiben - wie etwa die Idee, daß ein Pakt einen anderen Eid aufhob. Das waren die Regeln der Hölle, nach denen Khezzarrik gespielt hatte. Aber alles andere fügte sich nahtlos zusammen. Etwa, daß Tor Khiray hatte gehen lassen, ohne Alarm zu geben. Die ganze Flucht wäre vereitelt worden, wenn Khezzarrik rechtzeitig Beladanar Bescheid gegeben oder Khiray gleich getötet hätte. Und die Angriffe, denen sie immer wieder entkommen waren: Khezzarrik hatte Ewigkeiten benötigt, um das Tor im Otterdorf zu öffnen. Warum? Weil er in Wahrheit kein Interesse daran hatte, die Fliehenden zu fangen. Er hatte auch die Bären im Wald am Vortag dort abgesetzt, wo Trolle Saljin und Khiray beistehen konnten - er wußte offenbar um die Steinwesen und ihre Kräfte. Und der Grund, daß sich nie ein Tor mitten auf der 'Silbernen Ansicc' geöffnet hatte, um Hunderte von Kriegern auszuspeien, war wohl nicht, daß Khezzarrik das nicht vermochte, sondern daß er es nicht tun wollte.

Aber das Verstehen machte ihr Herz nicht leichter. Sie hatte noch immer eine Schuld Khiray gegenüber. Sie war nicht kleiner geworden durch dieses Opfer. Sie war unfähig gewesen, in irgendeiner Form einzugreifen, aber es kam ihr dennoch so vor, als sei dies ihr persönliches Versagen gewesen. Sie hätte an Khirays Stelle gehen müssen, wenn sie nur eher begriffen hätte. Der Gedanke daran, zu Khezzarriks Objekt zu werden, ließ sie frösteln - aber Leiden und Schmerz waren nichts im Vergleich zu einer nicht erfüllten Verpflichtung.

Khezzarrik hatte sie nicht sprechen lassen. Aber das war nicht alles. Sie hätte sich ihm auch dann nicht angeboten, wenn sie die Gelegenheit gehabt hätte. Und wenn, hätte dies Khiray dann weniger verletzt, oder vielleicht viel mehr? Sie versuchte sich vorzustellen, wie Khiray an ihrer Stelle auf ihre Rückkehr wartete. Körper und Geist, Leib oder Seele - sie litten beide, und vielleicht hatte das Schicksal ihnen die Rolle zugewiesen, die sie gerade noch ertragen konnten.

In dieser Nacht betete sie zu den Göttern ihres Volkes, daß Khiray unversehrt zurückkehren möge. Sie wußte nicht, ob sie den alten Erzählungen glaubte, oder ob die Götter überhaupt noch lebten. Sie erhielt auch keine Antwort, falls ihr jemand zuhörte. Auch Götter starben. Und die, an die ihr Volk einst geglaubt haben mochte, waren sicherlich längst tot und hatten die Himmel den Sternen überlassen.

* * *

Sie hatte nicht einmal die Gnade eines raschen Schlummers erfahren, als sich der Horizont rötete. Der Boden draußen war noch feucht vom Regen und vom Tau, und die Nässe würde in der kühlen Luft noch eine ganze Weile bestehen bleiben.

Khezzarrik erschien nicht. Der Rand der Sonnenscheibe hob sich über den Horizont. Saljin lief draußen durch das nasse Gras und über den Schlamm des Weges, aber von dem Dämon zeigte sich kein Haar.

Erst als die Sonne vollends aufgegangen war, bemerkte die Fuchstaurin das charakteristische Flimmern und Wabern der Luft. Rötliches Feuer formte sich zu einem Kreis, an genau der Stelle, wo Tor mit seinem Opfer verschwunden war.

Der Dämon trat durch das Portal, eine massive Gestalt - Khiray überhaupt nicht mehr ähnlich. Er imitierte noch einen Felligen, von welcher Spezies auch immer, ein Zwischending aus Bär und Wolf mit einem Spritzer Katze, von gewaltiger Größe und bedeckt mit langem, nachtschwarzen Fell.

Khezzarrik warf ein Bündel vor Saljins Füße. Sie brauchte einen Moment, um Khiray zu erkennen. Sein Fell war dunkelrot verfärbt und verklebt vom Blut zahlloser winziger Schnitte. Er hielt die Augen fest geschlossen, Arme und Beine an den Körper gezogen.

Die Fuchstaurin konnte keine schweren Wunden an ihm erkennen. Sie streckte eine Hand aus, um ihn zu beruhigen, doch Khiray ließ nur ein leises Wimmern hören und rollte sich noch fester zusammen, den Schwanz zwischen die Beine gezogen. "Khiray! Khiray!" Er reagierte nicht auf den Klang ihrer Stimme.

"Was hast du mit ihm gemacht!?" fuhr sie Khezzarrik an.

Der Dämon zerfloß und formte sich wieder als Khirays Ebenbild. Er lächelte fein. "Nur, was der Pakt mir gestattete. Ich habe ihn nur ein klein wenig verletzt. Ich habe ihn nicht für alle Zeit verstümmelt. Was seinen Geist angeht, nun, es ist wohl kaum mir anzulasten, wenn er eine etwas rauhe Behandlung nicht verträgt. Ich habe fast den Eindruck, daß er noch Jungfrau war, jedenfalls was Männer angeht. Ich hätte ihn nicht so eingeschätzt, nach unserer ersten leidenschaftlichen Begegnung. Wie auch immer, er gehört jetzt wieder ganz dir."

Saljin nahm einen Stein und warf ihn nach Khezzarrik, eine nutzlose Geste. Der Dämon fing ihn und ließ ihn fallen. "Das ist nicht sehr höflich. Ich für meinen Teil werde den Pakt ganz gewiß einhalten, anderenfalls wäre ich versucht, dich jetzt langsam in stücke zu zerreißen."

"Der Pakt! Oh, Götter!" Sie legte sich neben Khiray und barg den zitternden Fuchskörper in ihren Armen. "Das hättest du ihm nicht antun müssen! Du hast bekommen, was du wolltest! Nicht seine Seite des Pakts hat dich interessiert, sondern deine! Warum, warum hast du das aus ihm gemacht?" Khirays Ohren hingen herab, als besäße er keine bewußte Kontrolle mehr darüber. Seine Lippen waren fest geschlossen.

"Götter haben nichts damit zu tun. Es sind sehr alte Regeln, nach denen ein Pakt geschlossen wird, älter als alle Sterblichen. Und es ist ein sehr heiliger Pakt. Ich hätte ihn beleidigt, und alle Dämonen, wenn ich zuwenig verlangt hätte oder nicht auf der vollen Bezahlung bestanden hätte." Er grinste. "Nicht, daß ich jemals etwas Derartiges beabsichtigt hätte. Der junge Fuchs hat mir so gut gemundet, und du warst auch sehr schmackhaft. Das lange Warten, das Starren in die Nacht, die Zweifel. Zweifel hinterlassen einen sehr angenehmen Nachgeschmack, beinahe wie Hoffnungslosigkeit."

Saljin starrte ihn an. Er war also in gewisser Weise die ganze Nacht in ihrer Nähe gewesen, und hatte sich nicht nur an Khiray ergötzt, sondern auch an ihr. Ihr Fell sträubte sich.

"Nebenbei, ich habe ihm nicht wirklich etwas angetan. Nur etwas Schmerz. Nur etwas Demütigung. Nur ein Hauch Beschämung und Erniedrigung. Und dann wieder ein kleines bißchen Pein. Bis zum Sonnenaufgang. Nichts, was sich nicht in jeder Sekunde auf dieser Welt abspielt, in Hafenbars und dunklen vergitterten Kellern, in Kerkern und auf Marktplätzen, wo die übelsten Strolche öffentlich bestraft werden. Und ich war sicherlich viel sanfter als die Henker in den Folterkellern mit ihren so interessanten Werkzeugen. Ich habe ihm nicht einmal ein Stück Haut abgezogen, und das ist doch schon ein großer Verzicht, wo ich den Rest meiner Existenz in der Hölle verbringen werde. Höchstens die Peitschen und Ketten waren vielleicht etwas viel, und ich hätte ihn auch nicht unbedingt fünfmal..."

"Als Herrscher der Hölle!" Die Fuchstaurin wollte die Details gar nicht hören. Wie immer sich Khezzarrik rechtfertigte, es diente nur einem Zweck: noch ein wenig Ekel und Abscheu in ihr hervorzurufen. "Du kehrst als neuer Mächtiger in die Hölle zurück; das war doch der Plan, oder?"

"Ja, ja sicher", entgegnete der Dämon ihr etwas verwundert. "Du hast lange gebraucht, um es herauszufinden. Dabei war es doch von Anfang an klar, als ich Khiray in Sookandil gehen ließ, nicht wahr?"

Sie wiegte Khiray hin und her, ohne ihm allerdings eine Reaktion zu entlocken. "Was ist mit Pallys?" Sie versuchte ihre Stimme zu beherrschen. "Was hat er mit alldem zu tun?"

"Sterbliche!" stöhnte Khezzarrik. Aber es machte ihm offenbar Freude, noch etwas zu bleiben - noch etwas Leid aus ihren Adern zu trinken, als sei es Blut. "Pallys hat früher einmal gegen Dämonen gekämpft. Ich hatte angenommen, daß er den Pakt mit mir schließen würde. Daher habe ich Galbren benutzt, um den Kontakt zwischen Beladanar und den Sterblichen zu knüpfen. Beladanar wollte hier auf dieser Ebene zu Ruhm und Ansehen gelangen, um seine Position zu verbessern. Alkhurridh, der Herr des Ersten Kreises, ist sehr mächtig. Eigentlich ist er nicht einmal ein Dämon, aber das tut wirklich nichts zur Sache. In der Hölle herrscht seit langer Zeit ein sehr unsicherer Status Quo. Nur ein gelungener Coup hier auf dieser Ebene hätte Beladanar das nötige Ansehen einbringen können, um daran zu rütteln, ohne selbst vom folgenden Chaos verschlungen zu werden.

Er hörte auf meine Einflüsterungen und ließ sich von Galbren in dessen Pläne verwickeln. Natürlich verzichtete ich darauf, ihm die Gefahren dieser Ebene allzu deutlich zu schildern, schließlich war er nicht zum ersten Mal hier und hätte es besser wissen müssen. Er vertraut auf mich, um ihn in Sicherheit zu bringen, falls wir wirklich einem Erzengel begegnen würden.

Aber was ich erhoffte, war ein Pakt mit Pallys. Ich streute Gerüchte aus, doch er schenkte ihnen keinen Glauben. Und als Beladanar schließlich selbst aktiv wurde, kam er nicht selbst, sondern schickte diesen unglücklichen kleinen Fuchs an seiner Stelle. Ich war sehr überrascht, daß Beladanar in ihrer früheren Begegnung Pallys' Geist so gebrochen haben sollte, daß er nur noch an Flucht dachte und nicht an Kampf."

"Beladanar... und Pallys..."

"Ja, sie kennen sich schon lange. Aber das ist nicht wichtig. Jedenfalls ging Khiray in mein fein gesponnenes Netz. Ich ließ ihn entkommen und euch befreien. Übrigens, es ist auch meiner Fürsprache zu verdanken, daß Galbren dich und deinen Bruder nicht sofort getötet hat. Da ich erkannte, daß Pallys nicht meinen Plänen entsprechend handeln würde, mußte ich mir genügend Alternativen zurechtlegen."

"Vielen Dank", sagte Saljin tonlos. Sie streichelte Khirays Kopf und leckte behutsam seine Schnauze.

"Gern geschehen. Nachdem ihr entkommen wart, versuchte ich, euch lange genug vor Beladanars Zorn zu bewahren, um euch den Pakt anzubieten. Oder vielmehr, von euch den Pakt angeboten zu bekommen, denn dieser muß stets von euch Sterblichen ausgehen."

"Im Dorf der Otter. Und hier, im Wald."

"Ja." Khezzarrik betrachtete ungerührt seine Krallen. "Das letztere war ziemlich knapp. Ich befürchtete schon, die Trolle selbst rufen zu müssen."

"Und Ghanzekk..."

Der Dämon blickte zum Haus hinüber. "Ein Teil des Plans. Ich habe diese Bekanntschaft lange Zeit gepflegt und den Leoparden-Magier mit allen nur denkbaren Informationen versorgt."

"Unter dem Namen Val Khassis."

Khezzarrik khi Valangassis nickte. "Genau. Natürlich konnte ich ihm keine Waffen gegen mich oder Beladanar zur Verfügung stellen, zumal wir Fürsten die Geheimnisse um unsere Verwundbarkeit eifersüchtig hüten. Aber mit meiner Hilfe konnte er doch mächtige Zauber entwickeln. Für den Fall, daß ich Sterblichen ein Mittel gegen Beladanars Schergen in die Hand spielen müßte. Pallys hat guten Gebrauch davon gemacht, aber ich fürchte, Ghanzekks spätere Mühen waren umsonst. Der Pakt ist geschlossen, und ich brauche die Stäbe nicht mehr."

"Aber wir..." Saljin sah auf Khiray herab. Der Fuchs wollte nicht aus seinem Zustand erwachen. "Wir brauchen sie noch!"

Khezzarrik lächelte. "Ja, wahrscheinlich. Wenn Beladanar merkt, daß er hier gefangen ist, wird sein Zorn ihn zu einem wahnsinnigen Berserker machen. Natürlich hilft keiner der Stäbe gegen ihn, ebensowenig wie gegen mich. Seine Vasallen könnt ihr wahrscheinlich töten, doch ihn selbst... Wie schade, daß ich die weitere Entwicklung nicht verfolgen kann. Aber ich muß mich um meinen Platz in der Hölle kümmern. Jetzt, da Beladanars Platz frei ist, wird die Frage der Herrschaft nur noch zwischen mir und Alkhurridh gestellt."

"Ist es nicht ein gutes Gefühl, wenn man von beiden Seiten des Paktes profitiert?" fragte Saljin bitter.

Der Dämon deutete eine Verbeugung an. "Ja. Ja, zweifellos, das ist es. - Ich will nicht undankbar erscheinen, deshalb ein paar kleine Informationen. Beladanar selbst erwartet euch mit einem von Galbrens Schiffen dort, wo der Lange Lauf den See von Alvanere verläßt. Galbrens Soldaten haben einen Hinterhalt gelegt, irgendwo auf dem Weg nach Larynedd hinab. Sie haben kein Schiff, ich habe sie selbst dort abgesetzt. Es ist kein Dämon unter ihnen, alle verbleibenden Dämonen sind bei Beladanar. Galbren selbst schippert mit seinem zweiten Schiff den Langen Lauf hinab. Ich habe ihm angeboten, ihn zu transportieren, doch er hat abgelehnt. Aus irgendeinem Grunde scheint er mir nicht zu trauen."

"Warum erzählst du mir das?"

Khezzarrik breitete die Arme aus. "Weißt du, wie lange ich unter Beladanars Herrschaft stand? Es amüsiert mich, wenn ein paar Sterbliche ihn nun peinigen, wie er mich zuvor gepeinigt hat. Natürlich habt ihr am Ende keine Chance gegen ihn, wenn ihr wirklich kämpfen wollt. Ich rate euch nicht dazu. Flieht, solange ihr noch könnt. Aber euer Schicksal ist nun ganz und gar in eurer Hand; meine Pläne enden hier. Lebt wohl." Die Luft hinter ihm begann zu flimmern. Rötliche Flammen schlugen zu allen Seiten hin aus.

Der Dämon drehte sich um und schritt in das Tor hinein. Doch ehe er in die Hölle zurückkehrte, wandte er sich noch einmal an Saljin. "Ich an deiner Stelle würde mich nicht allzusehr anstrengen, ihn wieder zu erwecken, weißt du. Ich habe diese sehr angenehme Nacht nämlich - soweit meine kleinen Spiele nicht unbedingt eine männliche Form erforderten - in deiner Gestalt verbracht. Ich frage mich, ob er sich an die Nadeln erinnert, wenn er dich ansieht... falls er es jemals wieder erträgt, dich anzusehen... oder deine Stimme zu hören..."

Die Fuchstaurin starrte ihn in blankem Entsetzen an.

"Köstlich", sagte der Dämon. "Köstlich." Dann schloß sich das Portal hinter ihm.

Saljin sah in Khirays Gesicht. Der Fuchs war ganz woanders, in einer Welt, in der es keine Schmerzen gab, keinen Schrecken, keine Dämonen. Khezzarrik hatte ihn fortgeworfen wie ein zerbrochenes Spielzeug - ein Spielzeug, dem er mit voller Absicht die Seele geraubt hatte.

Und sie wußte nicht, ob sie auf sein Erwachen hoffen - oder ihn gleich töten sollte, ehe er den Schrecken der Nacht wieder bewußt ins Auge sehen mußte.


Ende von Kapitel Achtzehn